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Aus: Fine Art Photography
Karin Székessy
2007
Wer den Eingang zu Karin Székessys Bilderräumen finden will, muss sich auf eine lange Zeit der Suche gefasst machen. Man muss durch die quälend überfüllten Säle gehen, in denen die zerstückelten, gebrochenen, geschundenen Körper ausgestellt sind, die das vergangene Jahrhundert – als Zeitalter der Photographie – festgehalten und zu unserer ewigen Schande überliefert hat.
Es ist der Gang durch eine Bilderhölle und nur wenige haben die Festigkeit, ihn auszuhalten.
Wenn man erschöpft und gepeinigt vom Anblick dessen, was wir hervorgebracht haben – und täglich hervorbringen-, ohne es zu verstehen, dann noch den Mut hat, Körpern gegenüber zu treten, wie sie einmal gedacht waren, dann muss man nur den schattigen Raum betreten, der gleich neben dem Paradies liegt. Denn hier befindet sich Karin Székessys Atelier. Mann sollte innehalten; sich langsam an den Dämmer gewöhnen; vergessen, was man gerade gesehen hat. Man sollte sich der eigentümlichen Melancholie ergeben, die in diesem stillen Raum herrscht. Ist man selber der Grund für diese Melancholie? War man eben noch erschrocken über die gewaltigen Wunden, die Menschen Menschen geschlagen haben, so steht man nun gewaltigen Wundern gegenüber: Man sieht Körper, die noch durch keine Zurichtung entstellt sind. Verspürte man eben noch unbändige Wut angesichts des Elends, das wir täglich produzieren, ohne es zu durchschauen ergreift uns nun die Scham darüber, daß wir dieses Elend zugelassen haben, und weiter zulassen. Aber wir sollten nicht darüber reden, weil die Menschen, denen wir begegnen, uns nicht verstehen würden. Sie kennen das Elend und die Scham darüber nur vom Hörensagen. Von Leuten wie uns.
Natürlich ahnen auch die weiblichen Geschöpfe in Karin Székessys Atelier, dass sie sterblich sind. Aber wir sollten uns hüten Ihnen Gewissheit zu verschaffen.
Wir sollten für einen Moment den Mund halten und stillstehen. Wir sollten den Satz: “Aber in was für einer Welt lebt ihr denn eigentlich?“ nicht aussprechen. Wir sollten nach einer guten Weile das Atelier mit seiner Esoterik des Alltäglichen wieder stumm verlassen. Auf Zehenspitzen. Wir sollten auf keinen Fall sagen, dass der Tod in den angrenzenden Räumen wartet.