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Berlin, der 4. März 2011

Guten Tag,

ich denke, es ist ein Gebot der Höflichkeit, dass ich mich erst einmal vorstelle. Mein Name ist Welfhard Kraiker. Das steht ja auch schon auf der Einladung.

Als Karin Székessy mich gefragt hat, ob ich nicht einige Wörter zu ihrer Ausstellungseröffnung hier in dieser schönen Galerie von Johanna Breede sagen könnte, hab ich freudig ja gesagt. Ich fühle mich geehrt.

Karin Székessy und ich, wir kennen uns schon eine kleine Ewigkeit. Wir haben zusammen gearbeitet und dabei furchtbar viel gelacht. Denn das kann sie so wunderbar: lachen.

Auch über ihre eigenen kleinen Missgeschicke. Das ist dann doch wieder sehr hanseatisch. Auch wenn ihr Herz sich am ehesten im Süden Frankreichs wohlfühlt. Wer mal da gewesen ist, in ihrem und Paul Wunderlichs Refugium, der wird das sofort verstehen, es ist im Wortsinne einsichtig.

Und darum geht´s ja hier. Um´s Sehen. Einmal das Sehen der Fotografin, und dann unser Sehen als Betrachter. Das sind durchaus nicht die zwei Seiten derselben Medaille. Das sind zwei völlig verschiedene Vorgänge. Und wir wissen nie, ob diese angenommenen Parallelen sich doch irgendwo treffen, vielleicht sogar noch vor der Unendlichkeit. Das macht es aufregend, das Bilder-Betrachten. So müssten wir uns verlassen auf das, was wir wahrnehmen. Allerdings, wenn man weiß, sieht man besser.

„Mädchen im Atelier“ ist der Titel dieser Ausstellung, wenn meine bescheidenen Französischkenntnisse mich das richtig übersetzen lassen. Wobei das Wort Atelier nicht wörtlich zu nehmen ist. Karin Székessy verwandelt jedwede Umgebung in ihr „Atelier“.

In den diversen Wohnungen und tatsächlich im Atelier in Hamburg, in den halbfertigen Räumen des provencalischen Anwesens, oder fast versteckt in nicht lokalisierbarem Grün. Der Raum um ihre fotografierten Modelle herum, ist genauso präsent und präzise beschrieben wie Gestus und Ausdruck der Modelle selbst. Übrigens sind das keine Modells, sondern – wie auch immer – „gefundene“ Frauen.

Dieses Finden ist ein wahrhaft mühsamer Prozess, wie ich einige Male mitbekommen habe.

Denn Karin Székessy hat einen ganz bestimmten, schon vorgesehenen Blick auf ihre Mädchen, das zeigen diese Bilder hier. So fängt es bei ihr an, das Fotografieren mit Modellen.

Lita heißt eines der wiederkehrenden Modelle. Bleich und wunderbar erfrischend altmodisch. Mit Kirschmund und leicht geröteter Nase tummelt sie sich als Teil der von Karin Székessy gewählten Umgebung, vielleicht ist hier das Wort Umarmung richtiger. Manchmal ist Ritas Umgebung, respektive Umarmung auch „nur“ tief schwarz, wie auf der Einladung zu sehen ist. Aber was für ein Schwarz!

Ich bin ja kein Kunsthistoriker, nur ein emeritierter Kommunikationsdesigner, früher hieß das schlicht Grafiker, und deshalb hüte ich mich, mich auf das kunsthistorische Vokabular einzulassen.

Trotzdem: ohne ein wenig Historie geht´s nun auch nicht. In diesen Räumen versammeln sich über 40 Jahre Aktfotografie. Und seien Sie versichert, es ist ein Ausschnitt. Denn Karin Székessy ist eine ungemein, verzeihen Sie mir das oberlehrerhafte Wort, eine ungemein fleißige Künstlerin. Sie arbeitet mit einer Schnelligkeit, die atemberaubend ist, und manchmal habe ich mich gefragt, was macht sie eigentlich?, da ist doch gar nichts. Aber es war doch immer „ was“ da. Erstaunlich!

Das betrifft ihr gesamtes fotografisches Schaffen. Ihre zauberhaften Landschaften und Stillleben, ihre eindringlichen Portraits berühmter Künstler und Schriftsteller, aber auch ihre Spurensuche-Reportagen über George Sand und Uwe Johnson, mit den geschliffenen Texten von Fritz. J. Raddatz. Oder die Reportage kurz nach Mauereröffnung über das ehemalige jüdische Leben, das, was noch übriggeblieben im Scheunenviertel in Berlin.

Und nicht zuletzt die Fotografien der vielen Skulpturen von Paul Wunderlich. Manchmal weiß man gar nicht, was man lieber hätte, die Fotografien der Skulptur oder die Skulptur selbst. Am liebsten natürlich beides.

Noch etwas, so finde ich, völlig subjektiv, ich werd mich hüten objektiv zu sein, kann man in diese Bilder hineinlesen oder herauslesen, wie immer Sie wollen, sie strahlen etwas Freies aus, um nicht zu sagen Freiheitliches, das wäre wohl etwas zu pathetisch.

Etwas Freies, Befreites wovon auch immer. Sie die Bilder, die in ihnen agierenden Menschen sind souverän, wirken gelassen, mit offenem Blick, wenn sie einen anschauen.

Das beeindruckt mich, es zeugt von unverkrampftem selbstverständlichen Umgang mit den Frauen.

Dieses Befreite, Unabhängige ist aus dem unabhängigen Geist Karin Székessys zu erklären, wenn es denn erklärt werden muss. Sie hat sich nie irgendwelchen Trends oder Moden unterworfen, uns nie gequält mit sogenannten Experimenten, die doch nur meist die Abwesenheit einer Idee, einer Haltung sichtbar machen, ob in der Dunkelkammer oder jetzt auch mit dem Rechner.

Das heißt natürlich nicht, dass ihre Sicht auf die Welt sich nicht verändert hat, auch das zeigen diese Bilder hier. Aber dabei geht es immer um Formfindung und Formerfindung. Und da ist sie weiß Gott unerschöpflich und wenn es um Schöpfung geht, dann muss er das ja wohl wissen.

Viele Bilder sind so schön, wenn mir diese unpräzise und unfachmännische Vokabel erlaubt ist, dass ich mir wünsche, das eine Bild wären mehrere, weil so viel nebeneinander und aufeinander liegende Sehfreude in einer Fotografie kaum zu ertragen ist. Denn es gibt Bereiche in diesen Bildern, die es verdienten, ein eigenes Bild zu sein. Glücklicherweise tut Karin Székessy so was nicht. Für sie zählt das Ganze.

Aber das passiert eben, wenn man einigermaßen genau hinschaut. Wir können Entdeckungen machen.

Noch etwas: Gute Fotos haben ein Vorher und ein Nachher. Das klingt ein wenig esoterisch, ist aber nicht so gemeint. Blöd ist nur, dass man dieses Vorher und Nachher nicht sehen kann, denn schließlich ist es ja nicht da. Aber man kann es ahnen. Nicht präzise vorgestellt und wahrscheinlich für jeden verschieden. Aber mögliche Geschichten ließen sich schon erzählen. Und das macht diese Fotos hier auch so herausragend. Wenn wir wollen erzählen uns diese Bilder Geschichten. Das ist eben die Autoren-könnerschaft Karin Székessys.

Als Vorletztes bediene ich mich eines Plagiats. Das ist mit Recht verboten, aber es handelt sich dabei um einen Teil eines Textes in einem der vielen Kataloge von Karin Székessy, den ich geschrieben habe. Und das ist erlaubt.

„Es wird oft gefragt, wo denn der Schwerpunkt der Arbeit von Karin Székessy eigentlich liege, bei all dieser Bandbreite. Es sei ein Verwirrung stiftender Versuch gewagt:

Karin Székessy ist nicht nur die Aktfotografie, das ist sie auch. Sie ist nicht nur die Stillebenfotografin, das ist sie auch. Sie ist nicht nur die Landschaftsfotografin, das ist sie auch. Sie ist nicht nur die Portraitfotografin, das ist sie auch — also finden wir uns ab mit einer multiplen Persönlichkeit.

Ich möchte unbedingt noch sagen, dass ich die Bilder hier sensibel-grandios gehängt sehe. Mein aufrichtiger Respekt an die Galerie.

Zum Schluss: wer es noch nicht gemerkt haben sollte. Diese paar Wörter hier waren der Versuch einer kleinen, bescheidenen Liebeserklärung an Karin Székessy und Paul Wunderlich, und an die Arbeit dieser beiden wunderbaren Menschen.

Ich wünsche Ihnen und mir einen schönen Abend.